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Hi, du. Schön, dich kennenzulernen. Mein Name ist Plankton. Ich rette jeden Tag den Planeten. Du so?


Danke an Plankton für seinen Brief und Lion Fleischmann für seine Illustrationen.


Liebes Landwesen,

ich glaube, man nennt dich auch Mensch. Ich hoffe, es geht dir gut. Wir kennen uns aus dem Meer. Wir sind uns schon öfter begegnet. Eigentlich jedes Mal, wenn du baden gehst. Aber ich glaube, du hast mich nicht bemerkt. Deshalb dachte ich, ich stelle mich nochmal kurz vor. Mein Name ist Plankton.

Ich bin gleichzeitig einer der kleinsten und der größten Lebewesen der Erde. Meistens erkennt man mich nur unterm Mikroskop wirklich gut, denn ich bin so mini, dass ich für deine Augen oft unsichtbar bin. Betrachtet man mich aber als Großes, Ganzes, bin ich eines der größten lebenden Organismen überhaupt. Einige in euren Reihen, ich glaube ihr nennt sie Forschende, sagen sogar, ich bin ein „Super-Organismus“ oder auch „Mega-Lebewesen“. Immerhin bin ich in allen Weltmeeren, ja, sogar in Flüssen und Seen zuhause, und glaubt mir, da kommt schon so einiges an Masse zusammen. Die Forschenden tauchen immer wieder zu mir ab und füllen mich in viele kleine, durchsichtige Reagenzgläser. Im Labor fanden sie dann heraus, dass die Tiere, die zahlenmäßig am allermeisten auf dieser Welt vorkommen, zu meiner Familie gehören.


Big Family - hier bin ich mit ein paar meiner Verwandten. Illustration @Lion Fleischmann

Ich bin nämlich sowohl ein Tier, als auch eine Pflanze – und ich habe eine echte Großfamilie. Mit all den komplizierten, langen wissenschaftlichen Namen meiner Großneffen- und -nichten ersten bis zigfachen Grades komme selbst ich durcheinander. Aber halten wir es simpel: Meine tierische Familie nennt man „Zooplankton“. Zu ihm gehören unzählig viele kleine, verschiedenste Krebstierchen, genannt „Krill“. Und genau dieser Krill ist eben das Tier, das es auf unserem Planeten am meisten gibt. Das ist auch gut so, denn von diesen Mini-Krebschen ernähren sich ausgerechnet die größten Tiere der Erde. Aber dazu später mehr.


Hello, auch das hier bin ich - unterm Mikroskop, als kleines Krebschen, also Zooplankton. Foto @Eric A. Lazo-Wasem, public domain

Meine anderen Verwandten zählen zu den Pflanzen und heißen auch „Phytoplankton“. Kaum jemand weiß das, denn ich werde unter den großen Klimahelden des Planeten oft vergessen. Aber als Phytoplankton bin ich ein riesiger CO2-Staubsauger. Ich kann nämlich mehr von dem schädlichen Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen und speichern als die Regenwälder! Und das ist noch nicht alles. Ich betreibe auch Photosynthese und produziere so große Mengen an Sauerstoff. Beim Atmen an Land kann ich jetzt nicht so gut mitreden, denn ich lebe ja unter Wasser. Aber, wie ich gehört habe, verdankst du jeden zweiten deiner Atemzüge dem Meer. Tatsächlich denken eure Forschenden nämlich, dass rund 50 Prozent bis 70 Prozent des Sauerstoffs in der Atmosphäre von meiner Wenigkeit stammen. Ich will ja nicht angeben, ich bin ein bescheidener Charakter. Aber das ist schon ziemlich cool, oder?

OK, ich geb's zu, ich hab auch so meine schwarzen Schäfchen in der Familie. Ich wollte es erst nicht sagen, aber genau genommen wurde in der letzten Meer-Wissen-Folge vom September schon teilweise über mich berichtet. Denn ja, auch Quallen gehören zu meiner Familie. So, jetzt ist es raus. Die offizielle Definition von mir ist laut euren Wissenschaftlern nämlich „Die Gesamtheit der im Wasser lebenden tierischen und pflanzlichen Lebewesen, die sich nicht selbst fortbewegen, sondern durch das Wasser bewegt werden.“


Foto: istockphoto.com

Ich hoffe, du hast dich an meinen Tentakeln noch nicht verbrannt. Und wenn doch – sorry, ich schwöre, das war keine Absicht. Die meiste Zeit meines Lebens lasse ich mich nämlich einfach treiben. Der Weg ist das Ziel. Ich bin dann meistens mit den Öffentlichen unterwegs. Mein Fortbewegungsmittel sind die Meeresströmungen, und manchmal surfe ich auch auf Wind und Wellen zu dir.


Ich liebe die Inseln genauso wie du. Sie sind eines meiner vielen Zuhause. Ibiza und Formentera mag ich besonders, weil sie von mehreren Meeresströmungen umgeben sind. Es ist wohl das, was du an Land schön „luftig“ oder „windig“ nennen würdest, was mir hier in der Umgebung besonders gefällt. Aber ich bin auch gern in deiner Nähe, nicht weit von den Küsten, wo es so entspannt und ruhig ist.


"Say cheeeese" - das ist ein Party-Pic aus dem All - danke, NASA. Hier feiere ich gerade eine meiner legendären Fiestas, die Planktonblüte, im Atlantik. Ich bin das Helle, das von den Meeresströmungen- und -wirbeln so schön zu Spiralen geformt wird. Foto @NASA, Joshua Stevens, Laura Dauphin, Illustrationen @Lion Fleischmann


Und ich liebe Parties: Im Frühjahr und Herbst, wenn durch die Veränderung der Strömungen und Temperaturen neue Nährstoffe eintreffen, blühe ich buchstäblich so richtig auf. Offiziell nennt man das auch „Planktonblüte“. Dann gibt es eine große Fiesta, ein echtes Mega-Event, und alle Meeresbewohner sind eingeladen. Manche dieser Parties sind in den großen Ozeanen so riesig, dass man sie sogar aus dem Weltall sieht! Die NASA hat schon so manch coolen Party-Schappschuss von mir gemacht. Mal erscheine ich von oben spiralenförmig, wenn ich von Meeresströmungen verwirbelt werde. Oder ich glänze mit meinem DIY-Party-Ambiente. Dank dem Phänomen, das eure Forschenden „Biolumineszenz“ nennen, leuchte ich manchmal mit den Sternen um die Wette – auch rund um Ibiza und Formentera.


Ich bin's wieder, dieses Mal als Phytoplankton, unterm Mikroskop, versteht sich. Foto @Pixabay.com


Aber ich sehe nicht nur aus dem All cool aus. Hast du mich mal unterm Mikroskop gesehen? Ich erscheine in den verrücktesten Formen und Farben! Und ihr habt noch lange nicht alle meiner Erscheinungsformen entdeckt. Ihr seid erst ganz am Anfang, wir lernen uns gerade erst kennen. Von mir gibt es unzählige verschiedene Arten. Kleinstlebewesen wie ich verbergen noch viele sogenannte „Dark Taxa“. Das sind Lebewesen, die noch nicht von euch entdeckt wurden, sozusagen „weiße Flecken“ in der tierischen und pflanzlichen Artenvielfalt. Übrigens: Die Wissenschaft geht davon aus, dass weltweit ohnehin erst 10 bis 20 Prozent aller Arten bestimmt wurden. Ganz schön wenig, oder?

Eine meiner wichtigsten Eigenschaften als Phytoplankton habt ihr aber schon erforscht. Wie sag ich das jetzt am besten, ohne dass ich eingebildet klinge? Ich versuch's mal so: Ich bin der Ursprung des maritimen Lebens, bei dem alles beginnt. Oh, das klingt wichtig. Na gut, etwas bescheidener ausgedrückt: Ich bin das unterste Glied der Nahrungskette, und somit die Nahrungsgrundlage für alle Meereslebewesen. OK, ich geb's zu, wie mans auch dreht und wendet: Ich BIN ziemlich wichtig. Um nicht zu sagen, lebenswichtig. Schmeiße ich meine wilden Frühjahrs- und Herbstparties vor Ibiza und Formentera, ist das ein wahrer Charity-Bazar, und alle sind willkommen. Die ersten Gäste sind die kleinen Tierchen des Zooplanktons, die sich vom Phytoplankton ernähren, darunter winzige Krebschen, Fischlarven und Quallen. Dann trudeln die kleineren Fische ein, um das Zooplankton zu fressen. Und nach ihnen die Raubfische, die sich von kleineren Fischen ernähren – etwa Zackenbarsche, Muränen oder Barrakudas. Die Spitze der Nahrungskette bilden dann die Top-Prädatoren, wie Wale, Delfine, oder die im Mittelmeer extrem selten gewordenen Haie.

Die Wale und ich sind übrigens ein unschlagbares Team. Bei uns, also beim größten und kleinsten Lebewesen des Meeres, schließt sich gewissermaßen der Kreis. Viele große Wale wie die Finnwale, die mir übrigens vom Atlantik bis in den sogenannten „Wal-Kanal“ zwischen dem Festland und den Inseln folgen, sind Planktonfresser. Deswegen bin ich ihnen aber nicht böse, denn indem die Wale mich fressen, sorgen sie gleichzeitig für das Aufblühen meiner nächsten Generation. Mit ihrem Kot „düngen“ die Wale die Ozeane, denn er ist reich an Nährstoffen wie Eisen, das ich als Phytoplankton wiederum für mein Wachstum brauche. So profitieren wir gegenseitig von unserer Existenz. Eine Win-Win-Situation.


Das bin ich mit einem Finnwal. Ich weiß, ich bin nicht so fotogen, weil ich ja fast unsichtbar bin. Aber ich bin auch auf dem Foto und schwebe überall umher - sogar IN dem Wal. Foto @Unsplash.com

So, liebes Landwesen, nun haben wir uns mal etwas besser kennengelernt. Vielleicht treffen wir uns ja bald mal wieder, wenn du baden gehst. Kommt einfach vorbei, ich bin eigentlich immer zuhause. Nachts kannst du manchmal sogar mein Licht anknipsen, wenn du dich beim Schwimmen bewegst. Meine glitzernden Verwandten treiben sich als Leuchtplankton mit etwas Glück auch vor den Inseln rum.


Knips - schau, wie schön ich leuchten kann. Hier trage ich mein glamourösestes Gewand. Foto @istockphotos.com, Illustrationen @Lion Fleischmann

Eine Sache noch. Vielleicht kannst du es dir schon denken. Weil ich dir mindestens jeden zweiten Atemzug schenke, die Nahrungsgrundlage aller Meeresbewohner bin und mehr CO2 speichere als die Regenwälder, werde ich von der Wissenschaft auch „Most Important Organism“ genannt. Also, ich will ja nicht rumprotzen, aber ich rette jeden Tag den Planeten.


Was tust du für ihn? Vielleicht können wir uns zusammentun...?

Bis bald, im Meer. Ich werde dort sein.

Dein Plankton.


Dieser Artikel erschien im Jahr 2023 in der Oktober-Ausgabe des Monatsmagazins Ibiza Live Report.



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