Balearische Ur-Esel waren schon fast Geschichte, doch sie feiern ein Comeback - als tierische Feuerwehr in trockenen Wäldern.
- Carina Neumann
- 21. Juli 2023
- 5 Min. Lesezeit
Zum Herbst hin lockt neben dem Meer eindeutig das Landleben auf den Pityusen. Und dazu gehören auch (wieder) die Esel. Wusstest du, dass die Balearen einst bekannt für ihre edlen Langohren waren? Als Adelsgeschenke reisten sie um den halben Globus. Ihr Blut steckt sogar in der bekannten amerikanischen Riesen-Rasse „Kentucky Breed“. Heute ist der balearische Ur-Esel auf den Inseln eine wahre Rarität. Auf Ibiza war der „Asno Balear“ sogar schon komplett ausgestorben. Dank einer Hilfsorganisation grasen heute wieder balearische Langohren auf der Insel – und beugen dadurch Waldbränden vor.

Sanfte Augen, weiche Nüstern, nobler Charakter – Jahrhundertelang waren Esel treue Begleiter der Ibizenkos. Sie zogen mit Oliven beladene Karren, drehten schwere Mahlsteine zur Ölgewinnung, schleppten Holz oder Einkäufe aus dem nächsten Dorf nach Hause. Der balearische Esel, auf katalanisch „Asno Balear“, war aber nicht nur auf den Inseln begehrt. Die Art stammt vom afrikanischen Somali-Wildesel ab und gilt als großwüchsig, kräftig und robust, mit verspieltem, neugierigem und klugem Charakter. Früher wurden die Esel teuer gehandelt und sogar ins Ausland, etwa nach England oder die USA, exportiert. In Amerika flossen die balearischen Langohren mit in die Zucht des Kentucky Großesels – eine der größten Arten weltweit – ein.
Es heißt, der spanische König Carlos III (1716 – 1788) ließ dem amerikanischen Präsidenten und Tierliebhaber George Washington (1732 – 1799) im Jahr 1785 ein royales Geschenk zukommen: Ein besonders stolzer und starker balearischer Eselhengst trat die wochenlange Schiffsreise zu Amerikas erstem Präsidenten an. Endlich angekommen, lebte er auf Mount Vernon, dessen Landsitz. Washington besaß übrigens auch eine Herde Pferde, ein ganzes Rudel an Hunden und einen Papagei.
Mission Ur-Esel
Doch zurück nach Ibiza: Auch für den Mailänder und Wahl-Insulaner Giovanni Orlando sind die Balearen-Esel noble Vierbeiner – und „wahre Freunde, wenn sie einmal Vertrauen gefasst haben“. 2016 gründete der Tierfreund die Organisation „Associació Pitiusa Raça Asenca Balear“, kurz APRAB. Das Ziel: die Wiedereinführung des Ur-Esels auf Ibiza und Formentera. Er wird oft gefragt, wie ein Italiener zur Eselrettung auf Ibiza kommt. Für ihn ist es „der Spirit der Globalisierung“. Es war Liebe auf den ersten Blick, als er in den 1980er Jahren erstmals auf die Insel kam. Im Inneren fühlt er sich ohnehin als „Homo mediterraneus“ – und er möchte einen Beitrag gegen das Artensterben leisten. Denn laut Giovanni ergab die letzte Eselzählung auf den Balearen ein sehr überschaubares Ergebnis: Insgesamt leben nur noch 278 ursprüngliche Langohren auf den Balearen, davon rund 80 Prozent auf Mallorca und 20 Prozent auf Menorca. Auf Ibiza und Formentera waren sie bereits gänzlich verschwunden. Der „Asno Balear“ ist im spanischen Katalog für vom Aussterben bedrohte Tierarten gelistet. „Das Verschwinden des Balearen-Esels wäre ein riesiger und irreversibler Verlust an Biodiversität“, so Giovanni. Dank der APRAB gibt es nun wieder ein paar Ur-Esel auf Ibiza, aber mehr dazu gleich.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Für das Verschwinden des Ur-Esels gibt es mehrere Gründe. Ab den 1950er Jahren wurden immer mehr Tiere von außerhalb importiert. Die ursprünglichen Langohren wurden mit anderen Arten gekreuzt, denn damals war vor allem der kleinere, kompaktere Körperbau von nordafrikanischen Eseln gefragt. Das führte dazu, dass es auf Ibiza 1970 nur noch rund 100 native „Asnos“ mit den typischen Merkmalen gab. Und natürlich trug auch der Wandel der Zeit dazu bei: Durch die Industrialisierung wurden die Langohren nach und nach von Maschinen abgelöst und der Tourismus stellte die Landwirtschaft schließlich in den Schatten. Die Nachfrage an Eseln sank. Dabei sind die Tiere noch viel mehr als nur gute Gewichtsträger und Arbeitstiere.

Esel als Brandschutz?
Was kaum jemand weiß: Esel leisten auch einen wichtigen Beitrag zu gesunden Wäldern. Dort beugen sie unter anderem Waldbränden vor. Richtig gelesen! Denn Langohren fressen die trockene Biomasse, also die abgestorbenen Zweige, Äste und Co., die den Waldboden bedecken – und die ein wahrer Brandbeschleuniger in regenarmen, mediterranen Pinienwäldern sind. Mit den Ur-Eseln möchte die Organisation auch eine altbewährte, natürliche Forstwirtschaftsform auf die Insel zurückbringen: Das „Silvopastorale System“ vereint die Viehzucht mit der Pflege von Wäldern. Mit Vorteilen für die Tiere und die Pflanzen: Die Esel genießen den schattigen Schutz der Bäume und ernähren sich von den pflanzlichen Trieben und der entzündlichen Biomasse – und der Wald wird von ihnen aufgeräumt und gedüngt. „Indem die Esel am gleichen Ort weiden und äpfeln, halten sie auch einen wichtigen Wasser-Kohlenstoff-Kreislauf aufrecht“, so Giovanni. Denn durch die “Äpfel” (Kot) gelangen das Wasser und der Kohlenstoff aus dem pflanzlichen Futter zurück in den Waldboden. Als natürlicher Dünger reichern sie ihn darüber hinaus mit Nährstoffen an, machen ihn feuchter und fruchtbarer – und das wiederum freut den Appetit der „Asnos“. „Wir nennen das auch ‘regenerative Beweidung’“, erklärt Giovanni. Und Regeneration können die Pityusen-Wälder laut ihm tatsächlich brauchen, denn sie sind durch die Ansammlung entzündlicher Biomasse und trockener Böden in einem schlechten Zustand. Das, kombiniert mit dem Klimawandel, erhöht die Gefahr für weitere Waldbrände.
Lange bevor silvopastorale Systeme diesen Namen trugen, wurden sie bereits seit der Steinzeit von den ersten Hirten angewandt. Auch im Mittelmeerraum und auf den Balearen war diese Methode viele Jahrhunderte üblich. „Sie ist nicht nur viel umweltschonender als eine maschinelle Waldreinigung, sondern auch weitaus günstiger“, sagt Giovanni. In der Gebirgsregion „Serra de Tramuntana“ auf Mallorca, nahe Madrid und im Doñada Nationalpark in Andalusien erzielen silvopastorale Systeme mit Langohren bereits große Erfolge. Die Vision ist, diese forestale Eselzucht auch auf Ibiza zu verbreiten. Und auch hier gibt es bereits positive Auswirkungen. An ihren zwei Standorten in Sant Joan und Sant Lorenzo (die aktuell noch nicht für Besucher geöffnet sind) züchtet die Organisation Ur-Esel aus Mallorca weiter und vermittelt sie dann an neue Besitzer:innen auf Ibiza und Formentera: „Unser Ziel ist es nicht, möglichst viele Esel an einem Ort zu versammeln, sondern sie nach und nach wieder an verschiedenen Punkten der Inseln anzusiedeln“, so Giovanni. „Dort, wo sie weiden, betreiben sie bereits silvopastorale Systeme. Und wir konnten schon acht Esel erfolgreich an ein neues Zuhause vermitteln.“

Langohren als Therapeuten
Bis zum nächsten Frühjahr 2022 erwarten Giovanni und sein Team vier neue Eselinnen, die Neugierige dann erstmals auch besuchen und kennenlernen können. Die Eseldamen werden auch zu Therapeutinnen, denn in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen der Insel entsteht „Asnoterapia“, also Therapie mit Langohren. „Esel sind ruhige und sehr liebenswerte Tiere. Sie besitzen die Gabe, mit uns Menschen zu kommunizieren und in Kontakt zu treten“, so die Philosophie. „Die Natur und ihre Bewohner bieten einen gesunden Rahmen zur Entschleunigung – vor allem für jene, denen es aufgrund körperlichen und/oder geistigen Beeinrächtigungen schwerer fällt, sich an das schwindelerregend rasende Lebenstempo der modernen Gesellschaft anzupassen.“ Die sanfte Entschleunigung der vierbeinigen Gesellschaft kann man ab nächstem Frühjahr auch auf gemeinsamen Spaziergängen mit den Eseln erleben. „Wir planen mehrere schöne Routen über die Insel, mit Musik- und Kunsteinlagen und sogar Übernachtungen unterm Sternenhimmel“, so Giovanni.
Du möchtest das Langohr-Projekt unterstützen?
Als gemeinnützige Organisation danken die Esel und das Team jederzeit für Unterstützung in Form von Spenden. Auf der Webseite www.asnobalearibiza.org geht das bequem über Paypal. „Eine weitere Möglichkeit ist, Partner von unserem Projekt zu werden und Esel zu adoptieren. Als Grundstücks- oder Farmbesitzer:in wirst du ein aktives Mitglied unserer Organisation und teilst unsere Philosophie, indem die Esel in natürlicher Umgebung leben und zu einem gesunden Ökosystem beitragen.“ Wer also ein geeignetes Grundstück hat und unbefristet oder vorübergehend Langohren bei sich aufnehmen möchte, kann sich bei Giovanni und seinem Team melden. Die Organisation und die Esel freuen sich.
Dieser Artikel erschien im Jahr 2021 in der Oktober-Ausgabe des Monatsmagazins Ibiza Live Report. Danke an Giovanni und seine Ur-Esel.



