top of page

Der Seegurken-Krimi - Würste im Fadenkreuz der Mafia

  • Autorenbild: Carina Neumann
    Carina Neumann
  • 1. Okt. 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Sie erinnern uns – nett gesagt – an Gurken, haben kein Gehirn, atmen durch den Popo und bespucken ihre Feinde mit Klebefäden. In unserer Meer-Wissen-Serie geht es dieses Mal um ein unterschätztes Tier: die Seegurke. Wie sie zu den Beinamen „Meeres-Trüffel“ und „Staubsauger der Ozeane“ kam, warum sie so teuer gehandelt wird wie Drogen und sogar von der japanischen Yakuza gejagt wird.


ree

Potenzmittel? Das Aussehen der Seegurke brachte ihr so manchen Irrglauben ein, der sie vielerorts schon zur Rarität machte. Foto @Pixabay.com



Seegurken, auch Seewalzen genannt, gehören wie Seesterne und Seeigel zu den sogenannten Stachelhäutern. Die Familie der Seegurken ist riesig, es gibt über 1.500 verschiedene Arten. Das wurstige Antlitz haben sie alle gemeinsam, aber ihre Größen variieren von zwei Millimetern bis zu zwei Metern. Und auch farblich ist die ganze Regenbogenpalette vertreten. Während wir aus dem Mittelmeer vor allem die dunklen, wenig glamourösen Würstchen kennen, könnte man ihre exotischen Verwandten mit ihren knalligen Farbmustern fast mit Lavalampen verwechseln. Die „Gürkchen“ bevölkern fast alle Zonen der Meere, vom seichten Ufer bis zur Tiefsee. Vor Ibiza und Formentera sind zwei Arten zuhause, die Röhrenseegurke (Holothuria tubulosa) und die Königsseegurke (Parastichopus regalis). Erstere ist dunkelbraun, liebt seichte Gewässer und ist mit etwas Glück beim Schnorcheln zu sehen. Zweitere ist orange gefärbt, lebt in Tiefen von rund 50 bis 750 Metern und führt dementsprechend ein Leben in Verborgenheit. Beide Arten können bis zu 35 Zentimeter groß werden. Dank Hunderter winziger, mit Saugnäpfen ausgestatteten Füßchen bewegen sich die Gurken im Schneckentempo über den Meeresboden. Gefundenes Fressen? Die Würste wissen sich zu wehren! Neben der zähen, stacheligen Seegurkenhaut hat die Königsseegurke noch einen weiteren Joker gegen Angreifer: Sie spuckt blitzschnell einen Teil ihres Verdauungsorgans auf ihren Feind. Andere Arten können sogar (teils giftige) Fäden spucken. Die ufernahe Röhrenseegurke beherrscht aber keine dieser Guerilla-Taktiken.


ree

Hier siehst du die im Mittelmeer heimische Röhrenseegurke (Holothuria tubulosa). Foto @Parent Géry, public domain


"Staubsauger der Ozeane"


Von außen sieht so ein Seegurkenleben ziemlich lazy und unspektakulär aus. Aber die Pepinos (spanisch Gurken) liegen nicht einfach nur auf der faulen Haut, sondern erfüllen wichtige Aufgaben im Ökosystem. Ähnlich wie Regenwürmer lockern sie den Boden auf: Sie ernähren sich von organischem Material, also von abgestorbener pflanzlicher und tierischer „Biomasse“. Durch ihren mit kleinen Tentakeln versehenen Mund „saugen“ sie die Partikel ein (daher der Name Meeres-Staubsauger), zerlegen die Nährstoffe in ihrem Körper wie durch einen Filter in ihre Einzelbestandteile und scheiden sie dann wieder aus. Wichtige Stoffe wie Kalzium und Co. gelangen als gefilterter „Dünger“ zurück in den Meeresboden und sind dort für andere Lebewesen wieder verfügbar – zum Beispiel als Stärkung für ihre kalziumhaltigen Schalenhäuser.


ree

Hier siehst du die Mittelmeer-Art Königsseegurke (Parastichopus regalis).


Gedealt wie Drogen & im Fadenkreuz der Mafia


Rund um die Inseln der Pityusen führen die Seegurken ein relativ unbesorgtes Leben. Königsseegurken sind zwar essbar – jedoch hält sich der Appetit auf die Meereswürste auf den Balearen sehr in Grenzen. Trotzdessen, dass es in Katalonien und auf den Balearen das ungewöhnliche wie seltene Gericht „espardenya“ gibt. Es trägt den gleichen Namen wie der typische Stoffschuh espardenya (Katalanisch für „espandrillo“), denn die fünf Muskelstränge, die hier als einzige Bestandteile der Seegurke auf den Tisch kommen, erinnern an die geflochtene Sohle.


Ganz anders sieht das in Asien aus. Dort gelten die Gurken als Delikatessen, als Medizin gegen Arthritis wie Arthrose, und – Überraschung – als Aphrodisiakum und Potenzmittel (die italienische Bezeichnung für Seegurke ist daher mit „Meer-Penis“, „cazzo di mare“, nicht verwunderlich). Die chinesische Übersetzung für Seegurke heißt so viel wie „Ginseng des Meeres“. Der Hype um die Tiere, die in Asien etwa den Gourmet-Status von Trüffeln oder Kaviar haben, sorgte bereits für eine völlige Überfischung und leere Fanggründe weit über die Grenzen Asiens hinaus. Nach Jahrzehntelanger internationaler Ausbeutung für Asiens Gurken-Liebe verbieten nun immer mehr Länder die Jagd auf die Tiere, was den Schwarzmarkt jedoch weiter befeuert.


In Mexiko etwa bekriegen sich rivalisierende Banden im Kampf um illegale Fanggründe. Die Ernte ist gefährlich, denn die Tiere liegen teils in großer Tiefe, und beim „Gurken-Pflücken“ verunglücken regelmäßig Taucher. Die Gurken-Verknappung ließ die Preise explodieren und der illegale Handel mit den Würsten boomt. 2022 kostet ein Kilo der besonders begehrten Seegurken-Art Apostichopus japonicus (Japanische Seegurke) rund 3.000 Euro! Seit den 1980-er Jahren hat sich der Preis fast vervierfacht. Dick mit im Gurken-Business ist die Yakuza, die japanische Mafia. Der „Meer-Ginseng“ soll ihnen auf dem Schwarzmarkt so viel einbringen wie der Drogenhandel mit Amphetaminen. Ken`ichi Shinoda, der Chef der größten Yakuza-Gruppe „Yamaguchi-Gumi“, wurde 2017 mit 60 Tonnen Seegurken im Wert von rund 1,5 Millionen Euro erwischt und musste 770.000 Euro Strafe zahlen. Meeresbiologen sind weltweit besorgt um die Tiere und ihren Schwund. Da die Forschung ihnen bisher wenig Aufmerksamkeit widmete, ist schwer abzuschätzen, was ihre Dezimierung langfristig für das Ökosystem der Meere bedeutet. Vermutlich nichts Gutes. Denn wie wir nun wissen, erfüllen sie eine Reihe von (lebens-)wichtigen Aufgaben.


Das Verschwinden der Seegurken wäre also keineswegs „wurscht“


Als Zeichen gegen die internationale Ausbeutung der wurstigen Meeresgürkchen gibt‘s hier ein durch und durch vegetarisches und äußerst leckeres Gurkenrezept.


Mögen die marinen Staubsauger über die Mafia und den Schwarzmarkt siegen!


ree
ree

Dieser Artikel erschien im Jahr 2022 in der Oktober-Ausgabe des Monatsmagazins Ibiza Live Report. Titelbild: Holothuria tubulosa @Renaud Coupa, CC-BY-SA-4.0, Wikimedia Commons


Foto Königsseegurke: @Cubanito, Wikimedia Commons, cc-by-sa-3.0

 
 
bottom of page