top of page

Einst war dieser maritime Lost Place die größte Fischfabrik Europas. Was ist passiert?

  • Autorenbild: Carina Neumann
    Carina Neumann
  • 20. März 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Hexagonale Stahlkonstruktionen, algenbewachsene Säulen, zerschlissene Netze – vor Formentera, tief unten am Meeresgrund, schlummert ein surrealer Ort: die Ruine der versunkenen Fischfarm „Mariana“. Statt gemästeter Zuchtfische tummeln sich hier Barrakudaschwärme und Langusten. Einst war die versunkene Plattform die größte Fischfabrik Europas – und Hoffnungsträgerin für Handel und Ruhm. Was ist passiert?


ree

Versunken, aber nicht vergessen


Heute ist die „Plataforma Mariana“ ein mystischer Tauchspot. Einige unserer Redaktionsmitglieder sind hier natürlich schon abgetaucht. Es hat etwas apokalyptisches und doch friedliches, wie die Natur sich dieses unwirkliche Gebiet zurückerobert. Muscheln, Wasserpflanzen und Krebstiere besiedeln das rostige Gerüst. Silbrige Barrakudas stehen stoisch in der Strömung, eine Moräne reckt den Kopf aus ihrem Versteck, ein Zackenbarsch schwimmt träge vorbei. Seit 25 Jahren ruht „Mariana“ in 33 Metern Wassertiefe vor der kleinen Felseninsel s’ Espardell. Aber was macht sie da eigentlich? Auf der Suche nach Antworten durchstöberten wir das historische Inselarchiv Ibizas.


Sie zählte zu den größten Aquakulturen der Welt


Alles begann im Jahr 1987. Mit dem wachsenden Tourismus stieg auch die Nachfrage nach fangfrischem Fisch aus hiesigen Gewässern. Das wussten auch die Betreiber der katalanischen Firma Barca Import S.A. – und witterten ein großes Geschäft. Zu einer Zeit, in der gerade die ersten Aquakulturen in Spanien entstanden, gaben sie den Bau der bis dato größten Fischfarm Europas in Auftrag. „Mariana“, ein Aushängeschild für modernes Aquafarming, wurde nach norwegischem Vorbild konstruiert. Der „Typ Elken“ besaß vier Käfigbecken à 1.600 Kubikmeter und eine Gesamtfläche von 1.500 Quadratmetern. Die Tageszeitung „La Prensa de Ibiza“ betitelte die Plattform damals sogar als größte Fischfarm der Welt dieser Art. 1988 war das schwimmende Erfolgsversprechen fertig. Ursprünglich sollte „Mariana“ vor der Cala Saona (Formentera) treiben. Da sie hier aber stärkerer Witterung ausgesetzt wäre, entschieden sich die Betreiber dann doch für einen geschützteren Standort: etwa 500 Meter vor der Felseninsel s’ Espardell. In den vier Becken wuchs die Brut von Doraden und Wolfsbarschen heran. Beides typische Mittelmeerfische – und beliebt in der mediterranen Küche. Die Kosten für die gigantische Fischfarm: 240 Millionen Pesetas (umgerechnet gut 1,44 Millionen Euro). Der Plan: Die Baleareninseln mit fangfrischem Fisch zu beliefern. Als erste und bis dato einzige Aquakultur der Inseln hatte „Mariana“ durchaus das Potenzial zur Goldgrube. Und die Vision ging noch weiter: Die Speisefische sollten auch aufs spanische Festland und in andere Mittelmeerländer exportiert werden. Bis zu 800.000 Fische sollten jährlich in der Farm heranwachsen, um in diesem Zeitraum rund 200 Tonnen Speisefisch zu produzieren – was auf dem damaligen Markt rund 300 Millionen Pesetas (umgerechnet 1,8 Millionen Euro) eingebracht hätte.


ree

Eine Aufnahme aus den goldenen Tagen der Mariana. "Der Fisch war in vielen europäischen Ländern hoch angesehen", beschrieb La Prensa de Ibiza das Bild aus vergangenen Zeiten. Foto @Arxiu Històric d' Eivissa, La Prensa de Ibiza 03.01.1991, pàg. 3


Anfangs schien der Plan aufzugehen. „La Prensa de Ibiza“ schrieb hierzu: „Die Fischfarm hat gute Chancen auf dem internationalen Markt. Die Produkte sind in einigen Mittelmeerregionen wie Italien oder Frankreich sehr gefragt. Dank der milden Wassertemperaturen kann die Zucht ganzjährig erfolgen. Ständige Messungen und die gute Wasserqualität vor Formentera sorgen für ein rundum gelungenes Produkt.“


Viel Potenzial, aber wenig Geld


Doch bald schon fingen die Probleme an. Firmendirektor Fernando Gaminde, der „Mariana“ nach seiner Tochter benannt hatte, wartete vergeblich auf staatliche Subventionen. Anfangs wurde das Projekt laut Gaminde noch durch Zuschüsse der spanischen Zentral- und Balearenregierung und einem Fond der EU mitgestemmt. Rund ein Drittel der Finanzierung von „Mariana“ floss aus staatlicher Hand. Dann aber entfachte ein ewiger Streit über weitere Subventionen. Aus Gamindes Perspektive war es „reiner Betrug und Hohn“, dass die scheinbar vereinbarten Zahlungen in Höhe von mehreren Zehntausend Pesetasnicht geleistet wurden. Er sagte gegenüber „La Prensa de Ibiza“: „Wenn wir das Geld nicht erhalten, können wir uns kein Fischfutter mehr leisten. Dann werden die Fische anfangen, sich gegenseitig zu fressen. Bevor das passiert, lassen wir sie lieber frei.“ Gaminde begab sich daraufhin in einen siebentägigen Hungerstreik. Erfolglos.


Laut Miquel Massuti, dem damaligen Generaldirektor der Balearen für Landwirtschaft und Fischerei, fehlten für die Subventionen immer wieder wichtige Dokumente: „Für eine Bezuschussung schaut sich das Finanzkomitee der EU alles mit der Lupe an. Dafür braucht es lückenlose Unterlagen“, so Massuti. Im Jahr 1990, nur zwei Jahre nach ihren glorreichen Anfängen, ging die Firma Barca Import S.A. pleite und stellte den Betrieb der Fischfarm ein. Von da an begann ihr langes Dasein als verlassene Geisterplattform. Die Betreiber hatten den Kontakt zu den Regierungen schon lange abgebrochen. Das änderte sich auch nicht, als die Fischfarm während eines Sturms im Januar 1991 halb im Meer versank. Die Balearenregierung weigerte sich, die Plattform auf Staatskosten wieder aufzubauen. „Sie gehört einer privaten Firma, die ihre eigenen Risiken hat. Man kann die Folgen einer privaten Misswirtschaft nicht aus staatlicher Kasse bezahlen“, so Massuti.


ree

So sah La Mariana einst aus, bevor sie ihr Dasein als Lost Place begann. @Arxiu Històric d' Eivissa, La Prensa de Ibiza 07.06.1991, pàg. 5


Schließlich beschloss das Gericht in Barcelona die Versteigerung von „Mariana“. Aber nach drei gescheiterten Versuchen war auch das hinfällig – niemand wollte die Fischfarm haben. Eine Bergung wäre teuer gewesen und war rechtlich gesehen sogar verboten, da noch ein alter Gerichtsprozess um den Fall „Mariana“ offen war. Hin und wieder wurde die Plattform also notdürftig gesichert, damit sie sich im Sturm nicht losriss und vorbeifahrende Schiffe gefährdete.


Von der Geisterplattform zum künstlichen Riff


Wohin nur mit „Mariana“? Ab auf den Meeresgrund – das war 1993 jedenfalls der Vorschlag des Meeresbiologen Bartolomé Planas. Sobald das Gericht die Entfernung der Plattform erlaubt, sollte sie versenkt werden. Unten am Meeresboden könnte sie laut dem Wissenschaftler ähnliche Aufgaben erfüllen, für die sie einst konstruiert wurde: Als künstliches Riff wäre sie ein Zufluchtsort für einheimische Fische und Krebstiere – und trüge so insgeheim zur Stärkung der Fischereigründe der Pityusen bei. Letztendlich entschied der Sturm über das Schicksal der Plattform. Er war schneller als die Entscheidung des Gerichts: 1996 gab ein starkes Unwetter „Mariana“ den Rest. Das, was sich noch von der ächzenden Konstruktion über Wasser hielt, versank schließlich komplett in den tosenden Fluten. Wie der Meeresbiologe einst prophezeite, macht „Mariana“ dem Namen Fischfarm auf dem Meeresgrund alle Ehre. Mit den Jahren verwandelte sie sich in ein Refugium für verschiedenste Tierarten. Taucher berichten sogar von Delfinen, die sich hin und wieder rund um das Gerüst tummeln. An sonnigen, windstillen Tagen beträgt die Sicht im kristallklaren Wasser bis zu 30 Meter.


Die große Freiheit


Und was geschah damals mit den Hunderttausenden Zuchtfischen? Über ihren Verbleib tauchen im Inselarchiv keine Hinweise auf. Es gibt aber Berichte von einheimischen Fischern, die eines Tages besonders viele Doraden und Wolfsbarsche in Formenteras Buchten fingen. Die Tiere sollen leicht ins Netz gegangen sein und wirkten irgendwie orientierungslos. Waren es die einstigen Insassen aus der Fischfarm, die voller Freiheitsdrang das Weite suchten? Wer weiß – und vielleicht schwimmen ihre Nachkommen noch heute durchs türkisblaue Wasser der Pityusen...


ree

Tipp für Neugierige: Für einen Tauchgang zur „Mariana“ brauchst du einen „Advanced-Tauchschein“. Sie liegt 33 Meter tief und ist von relativ starken Strömungen umgeben. Einige Tauchschulen auf Ibiza und Formentera bieten geführte Touren zur Fischfarm an. Die Guides kennen das Gebiet mit all seinen Tücken. Um die Ruine sicher zu erkunden, ist das der beste Weg.


Dieser Artikel erschien im Jahr 2021 in der August-Ausgabe des Monatsmagazins Ibiza Live Report. Danke an Luc Fuster für die Unterwasserfotos von Mariana. Historische Bilder: Arxiu Històric d' Eivissa, La Prensa de Ibiza

 
 
bottom of page