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Der stille Ruf der Sirenen - Aban und die letzten Meerjungfrauen der Philippinen

  • Autorenbild: Carina Neumann
    Carina Neumann
  • 14. Okt. 2023
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Apr.

Freie Reportage, Philippinen 2023


Auf den Philippinen riskieren Menschen für Seekühe ihr Leben - mit Erfolg. Warum ihre Schützlinge nach einem Fabelwesen benannt sind und wie sie ganz nebenbei das Klima regulieren.


Meerjungfrauen gibt es wirklich. Sie sind runzelig, dick und bedroht. Aban ist eine von ihnen. Er frisst kiloweise Seegras und wiegt knapp eine halbe Tonne. Aban ist eine Seekuh, genauer ein Dugong – eines der rund 30 letzten der philippinischen Insel Busuanga. Seine Heimat kommt dem Traum vom Tropenparadies ziemlich nahe. Kalksteinfelsen ragen aus blauen Lagunen, Glühwürmchen schwirren durch Mangrovenwälder und die Mondsichel liegt dank Äquatornähe wie ein Hufeisen auf dem Rücken – richtig herum in den funkelnden Nachthimmel gehängt, damit das Glück nicht herausfällt. Die Gewässer rund um Busuanga zählen zu den artenreichsten der Welt, denn die Philippinen bilden die nördliche Spitze des „Coral Triangles“. Das Meeresgebiet liegt im Herzen der indopazifischen Inselwelt und umfasst Teile Malaysias, Indonesiens, Papua-Neuguineas und der Salomonen. Seine Biodiversität ist einzigartig. Mit 600 Arten leben hier 75 Prozent aller existierenden Steinkorallen. Sechs der sieben weltweit vorkommenden Meeresschildkröten nisten an den Stränden des Korallendreiecks. Rund 3.000 Fischarten gibt es hier, vom Clownfisch bis zum Walhai. Und ein paar Meerjungfrauen, wenn auch immer weniger.


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Dugong Aban bei seiner Lieblingsbeschäftigung - grasen. Bild @Dirk Fahrenbach



Die letzten ihrer Art


Im Norden Busuangas, rund um die Halbinsel Calauit, lebt Aban. Er ist eine lokale Berühmtheit, denn er schwimmt gern seelenruhig neben Tauchenden her und mustert sie neugierig. Obwohl die hiesige Dugong-Population nur noch rund 30 Tiere zählt, ist sie die größte der Philippinen. Auf den restlichen Inseln leben nur noch sehr vereinzelt Seekühe. Früher tummelten sich Abans Vorfahren hier in Scharen, doch Jahrhunderte lange Bejagung, illegale Fischerei, reger Schiffsverkehr und Umweltfaktoren dezimierten die Dugongs rapide. Auch weltweit sind die Meeressäuger stark bedroht. „In China wurden sie kürzlich als ausgestorben eingestuft, im Roten Meer verbleiben wohl nur noch zwei – leider beides Männchen“, so Dirk Fahrenbach. „Dugongs werden bis zu 70 Jahre alt, man hat also recht lange etwas von ihnen. Aber wenn sie dann eines Tages sterben, sind sie vielerorts eben für immer weg.“ Sein Lächeln hängt schief. Der deutsche Umweltaktivist, Tauchlehrer und Unterwasserfotograf kam in den 1990-er Jahren nach Busuanga und öffnete im Nordosten der Insel ein rekreatives Tauchzentrum. Er blickt in die Bucht, in der Mangrovenwälder in ruhiges Wasser münden. Die Luft ist schwül und schwer von der Feuchtigkeit. Irgendwo am Ufer verschwindet ein Waran im Dschungel. „Ich bin hier angekommen und hab' direkt am Hausriff fünf Schildkröten und einen Dugong gesehen. Da hab ich sofort am ersten Tag den Vertrag unterschrieben.“


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So sieht es unweit Abans Heimat aus. Die imposanten Kalksteinfelsen sind beliebte Tourismusziele.

Die einzig „echten“ Meerjungfrauen

Mit den Dugongs tauchte auch eine philippinische Meeresbiologin auf, damals im Auftrag des WWF (World Wide Nature Fund). Janet Fahrenbach ist heute Dirks Frau. Seit über 20 Jahren setzen sich die beiden zusammen für den Schutz der Meeressäuger ein. „Manchmal zanken wir uns, ob die hiesige Population bereits Inzucht ist“, so Fahrenbach. „Meine Frau sagt, ja. Ich bin da etwas optimistischer.“ Die Hoffnung liegt auf nicht verwandten Dugongs, die sporadisch frisches Blut aus benachbarten Gefilden nach Calauit bringen. Doch „Dugongs vermehren sich nur sehr langsam, deshalb gibt es hier keinen schnellen Zuwachs.“ Die enge Bindung zwischen Kuh und Kalb ist eine der Eigenschaften, die Fahrenbach an Dugongs so faszinieren: „Das macht sie uns ähnlich und nah.“ Seine gemeinsame Tochter mit Janet heißt Sirena - angelehnt an Sirenia, den wissenschaftlichen Namen der Seekuh. Der wiederum beruht auf einer historischen Verwechslung und auch ein wenig Seemannsgarn: „Als dänische Forschende vor ein paar Jahrhunderten auf einer Expedition Dugongs sahen, hatte der Zeichner wohl ein paar Humpen zu viel“, lacht Fahrenbach. Heraus kamen mollige Meerjungfrauen, die an Sirenen aus der griechischen Mythologie erinnern. Auch Kolumbus schwörte darauf, während seiner Entdeckungsreise bei Haiti „eindeutig drei Meerjungfrauen“ gesehen zu haben. 1493 schrieb er in sein Reisetagebuch: „Sie sind aber aber nicht so schön wie man es ihnen nachsagt, ihre Gesichter hatten ein paar maskuline Züge.“ Fahrenbach jedenfalls ist sicher, dass die Dugongs zumindest unter den Seekuharten die einzig „echten“ Meerjungfrauen sind, denn „sie leben ausschließlich im Salzwasser und haben eine gespreizte Fluke. Die Seekuhart Manati hingegen lebt auch im Süßwasser und hat eine löffelförmige Schwanzflosse.“ Am nächsten verwandt sind Seekühe übrigens weder mit Jungfrauen, noch mit Kühen, sondern mit Elefanten. Die Namensgebung stammt von ihrer Eigenschaft, Seegras wie Weidetiere abzugrasen.



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Mit Dirk Fahrenbach in der Bucht, in die er sich vor mehr als drei Jahrzehnten verliebte.

Gärtner der Meere

Während sie gemütlich durch die Meere gondeln und grasen, leisten Seekühe einen entscheidenden Beitrag fürs Klima: „Dugongs sind intelligente Fresser. Sie fressen überkreuzt und lassen immer ein Feld stehen. Genau, wie man einen Garten trimmt, wächst danach alles dreifach so gut“, so Fahrenbach. Gesunde Seegraswiesen schützen die Küsten als natürliche Wellenbrecher vor Erosion, sie sind die Kinderstube vieler Tierarten und speichern 30 Mal mehr CO2 als die Regenwälder. Die grünen Lungen der Meere filtern das Wasser und produzieren hohe Mengen Sauerstoff, was für gute Wasserqualität sorgt. Fast beiläufig pflegen Seekühe ein Ökosystem, das als CO2-Speicher und Sauerstofflieferant das weltweite Klima reguliert. In ihrem Lebensraum gibt es keine Tierart mit vergleichbaren ökologischen Aufgaben. Gehören die Meerjungfrauen eines Tages endgültig dem Reich der Legenden an, sind unsere Ozeane nicht mehr dieselben.


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Biologin Janet Fahrenbach mit einem ihrer Schützlinge. Foto @Dirk Fahrenbach

Meerjungfrauenschutz ist gefährlich

Heute führt Aban ein friedliches Leben, doch das war nicht immer so. Zwar stehen die vulnerablen Dugongs auf den Philippinen seit 1992 gesetzlich unter Schutz – sie waren dort die ersten geschützten Meerestiere, 1995 folgte der Walhai. Für den illegalen Fang drohen hohe Geld- bis Gefängnisstrafen. Aber Abans Zuhause war Schauplatz illegaler Fischerei. Die Dugongs wurden weiter bejagt oder verendeten als Beifang in Fischernetzen. Auch illegale Kompressorfischerei kam zum Einsatz: „Die Tauchenden gehen mit Atemschläuchen runter. Sie können dann lange unter Wasser bleiben und mit Harpunen, Netzen oder Zyanid fischen.“ Zyanid, also Blausäuresalz, lähmt die Fische, damit man sie leicht einkeschern kann. Dabei vergiftet es auch die Korallen und sämtliche Lebewesen, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Manchmal auch Meerjungfrauen. Das Gift machte in der internationalen Zierfischindustrie Karriere: Lange war es der schnellste und bequemste Weg, Tropenfische in Tausende Kilometer entfernte Wohn- und Wartezimmer zu bringen. Rund 99 Prozent aller marinen Zierfische sind Wildfänge, je nach Art sterben bis zu 80 Prozent während des Transports. Die EU bildet laut der Tierschutzorganisation „Pro Wildlife“ weltweit den größten Absatzmarkt für Aquaristik – und Deutschland ist nach England der zweitgrößte Importeur mariner Zierfische. Ein Gros davon wird in indonesischen und philippinischen Gewässern gefangen.


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Selbst ein Dugong in den Tropen ist mit unserer Lebensweise verknüpft. Foto @Dirk Fahrenbach


„Mermaid Guardians“: die Küstenwache und die Tagbanwa

Anfangs fuhr Fahrenbach mit seiner Frau alleine zu den illegalen Fangschiffen hinaus. Mitten in der Nacht, mitten auf dem Meer. Die Schiffe waren weit teils gereist, sie kamen aus anderen asiatischen Ländern oder philippinischen Inseln. „Wir wollten ihnen ja das Geschäft kaputtmachen, und bekamen nicht selten Morddrohungen“, erinnert sich der Aktivist. „Uns waren die Hände gebunden, aber dann stieß meine Frau auf die Möglichkeit einer Küstenwache.“ So gründeten die Fahrenbachs vor Ort die erste freiwillige Küstenwache, inzwischen eine große Gruppe. „Dann durften wir Uniformen tragen und das Gesetz vertreten. Und fingen an, das Gebiet zu reinigen, meistens mitten in der Nacht. Das hat Jahre gedauert und war nicht ungefährlich.“ Kleineren Booten wurde die Ausrüstung, größeren die Papiere konfisziert, um sie vor Gericht zu bringen. Mittlerweile waren auch Securitys mit an Bord. Unterstützung bekam die Küstenwache auch von einer philippinischen Rechtsschutzorganisation, die auf Umweltdelikte spezialisiert war. „Das spricht sich natürlich schnell 'rum, und so hatten wir nach ein paar Jahren Ruhe.“ 2017 kam noch ein alter philippinischer Stamm mit ins Boot: die Tagbanwa. Früher jagten sie Dugongs zum Verzehr, heute gilt das Meeresgebiet ihres Stammes im Norden Calauits als Dugong-Schutzpark. Wie Fahrenbach organisieren auch die Tagbanwa edukatives Dugong-Watching und verteidigen den Lebensraum der Seekühe vor illegaler Bejagung und Fischerei. Die „Mermaid Guardians“, wie die Küstenwache und die Tagbanwa vor Ort auch genannt werden, arbeiten dabei zusammen, tauschen Daten und Beobachtungen aus. Für Fahrenbach sind seine nördlichen Nachbarn Verbündete. Einen Widerspruch zwischen Tourismus und Artenschutz sieht er nicht, im Gegenteil: „Edukativer, nachhaltiger Tourismus ist für mich der beste Schutz für die Umwelt.“ Gerade auf den mehr als 7.000 Philippineninseln sei eine flächendeckende Küstenwache nicht möglich. „Tourismusanbieter und Tauchschulen wollen schöne Schnorchel- und Tauchplätze, und somit schützen sie die Gebiete.“ Aktuell kämpft die Küstenwache gegen Kelpfarmen: Lange Schnüre werden mit Kelpalgen bepflanzt, die als Naturgelatine in Pharmakapseln zum Einsatz kommen. „Die Dugongs kratzen sich gern an den Schnüren und verheddern sich darin, was oft zu qualvollem Ertrinken führt“, so Fahrenbach. Innerhalb des Schutzparks sind sie bereits tabu, doch Dugongs halten sich selten an menschliche Ortsgrenzen.


Fahrenbach blickt aufs Meer. Irgendwo da draußen trimmt Aban gerade seine Wiese. Die Früchte seiner Gartenarbeit ernten auch wir: Gesunde Seegraswiesen, die CO2 speichern und das weltweite Klima regulieren. Sauerstoff. Artenreiche Ozeane als Lebensgrundlage. Und als Sehnsuchtsorte.


Diese freie Reportage entstand während einer Philippinenreise im Jahr 2023.

 
 
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