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Meerjungfrauen gibt es wirklich. Sie sind runzelig, dick und bedroht.

Freie Reportage, Teil l


Aban ist ein Botschafter seiner Art. Er frisst kiloweise Seegras, wiegt knapp eine halbe Tonne und ist fast doppelt so lang wie ein Mensch. Aban ist eine Seekuh, genauer ein Dugong – eines der rund 30 letzten der philippinischen Insel Busuanga. Warum Aban und seine Artgenossen Gärtner des Ökosystems sind, weshalb ein Umweltaktivist Morddrohungen erhielt... und was das Ganze mit Meerjungfrauen, Schweinefleisch und einem einem alten, indigenen Stamm zu tun hat.


Dugong Aban bei seiner Lieblingsbeschäftigung - fressen. Bild @Dirk Fahrenbach


Abans Heimat kommt dem Traum vom Tropenparadies ziemlich nahe. Im Norden Palawans, auf Busuanga Island, ragen bewaldete Kalksteinfelsen aus blauen Lagunen, Glühwürmchen schwirren durch dichte Mangrovenwälder und die Mondsichel liegt dank Äquatornähe wie ein Hufeisen auf dem Rücken – richtig herum in den funkelnden Nachthimmel gehängt, sodass das Glück nicht herausfällt. Naturschätze locken mit verheißungsvollen Namen wie Barracuda Lake, Twin Lagoon und Skeleton Wreck. Menschen mit schönen fernöstlichen Gesichtern hören auf lange spanische Namen. Neben dem kleinen Ost-Timor sind die Philippinen das einzige christliche Land Asiens. Relikte der Kolonialgeschichte. Figuren des „Santo Niño“, des heiligen Jesuskinds, haben dunkle Haut und tragen in den obligatorischen Karaoke-Nächten gern Sonnenbrille und Glitzer-Jackett. Fotogene bunte Fischerboote, genannt „Bangkas“, erinnern mit ihren seitlichen Stützgerüsten an hölzerne Wasserläufer. Die glasklaren Gewässer rund um Busuanga zählen zu den artenreichsten der Welt, denn die Philippinen bilden die nördliche Spitze des „Coral Triangles“. Das Meeresgebiet liegt im Herzen der indopazifischen Inselwelt und umfasst unter anderem Teile Malaysias, Indonesiens, Papua-Neuguineas und der Salomonen. Die reiche Biodiversität des Coral Triangles ist weltweit einzigartig. Rings um Busuanga liegt eine gefühlte Flotte versunkener Kriegsschiffe aus dem Pacific War des Zweiten Weltkriegs. Der Unterwasserfriedhof ist Zeitzeuge eines dunklen Kapitels, macht die Insel aber vor allem für Wracktauchende nicht weniger mystisch.


So sieht es in Abans Heimat aus. Die imposanten Kalksteinfelsen sind beliebte Tourismusziele.

Dugongs werden immer seltener

Am nördlichsten Zipfel des Eilandes, rund um die Halbinsel Calauit Island, lebt Aban. Er ist eine lokale Berühmtheit, denn im Gegensatz zu seinen schüchternen Familienmitgliedern schwimmt er oft seelenruhig neben Tauchenden her und mustert sie neugierig. Vor rund acht Jahren tauchte er hier zum ersten Mal auf und futtert sich seitdem durch die Seegraswiesen. Obwohl die hiesige Dugong-Population nur noch rund 30 Tiere zählt, ist sie die größte der Philippinen. Auf den restlichen Inseln leben nur noch sehr vereinzelt Seekühe. Früher tummelten sich Abans Vorfahren hier in Scharen, doch Jahrhunderte lange Bejagung, illegale Fischerei, Schiffsverkehr und Umweltfaktoren dezimierten die philippinischen Dugongs rapide. Auch weltweit sind die Meeressäuger stark bedroht. „In China wurden sie kürzlich als ausgestorben eingestuft, im Roten Meer verbleiben wohl nur noch zwei Dugongs – leider beides Männchen“, so Dirk Fahrenbach. „Dugongs werden bis zu 70 Jahre alt, man hat also recht lange etwas von ihnen. Aber wenn sie dann eines Tages sterben, sind sie vielerorts eben für immer weg.“ Der deutsche Umweltaktivist, Tauchlehrer und Unterwasserfotograf kam in den 1990-er Jahren nach Busuanga und öffnete im Nordosten der Insel ein rekreatives Tauchzentrum. Er blickt in die Bucht, in der dichte Mangrovenwälder in klares, ruhiges Wasser münden. Die Luft ist schwül und schwer von der Feuchtigkeit. Irgendwo am Ufer verschwindet ein Waran im Dschungel. „Ich bin hier angekommen und hab direkt beim Hausriff fünf Schildkröten und einen Dugong gesehen. Ich wusste auch, dass hier noch einige Wracks liegen. Da hab ich sofort am ersten Tag den Vertrag unterschrieben.“


Mit Dirk Fahrenbach in der Bucht, in die er sich vor mehr als drei Jahrzehnten verliebte.

Die einzig „echten“ Meerjungfrauen

Mit den Dugongs tauchte auch eine philippinische Meeresbiologin in der Bucht auf, damals im Auftrag des WWF (World Wide Nature Fund). Janet Fahrenbach ist heute Dirks Frau. Seit über 20 Jahren setzen sich die beiden zusammen für den Schutz der Meeressäuger ein. Manchmal zanken sich Dirk und seine Frau, ob die Population Busuangas bereits Inzucht ist. Seine Frau sagt, ja. Dirk ist da noch etwas optimistischer. Die Hoffnung liegt auf nicht verwandten Dugongs, die sporadisch frisches Blut aus benachbarten Gefilden nach Calauit Island bringen. Doch „Dugongs vermehren sich nur sehr langsam, deshalb gibt es hier keinen schnellen Zuwachs.“ Laut Fahrenbach werden die Weibchen erst mit neun Jahren geschlechtsreif. Die Schwangerschaft dauert 12 Monate, und Seekühe kriegen immer nur ein Baby. Das wird dann zwei Jahre bei der Mutter gesäugt. Bis zum nächsten Nachwuchs braucht die Mutter mehrere Jahre Pause. Die enge Bindung zwischen Kuh und Kalb ist eine der Eigenschaften, die Dugongs für Fahrenbach so besonders machen: „Das macht sie uns ähnlich und nah.“ Seine gemeinsame Tochter mit Janet Fahrenbach heißt Sirena, angelehnt an Sirenia, den wissenschaftlichen Namen der Seekuh. Der wiederum beruht auf einer historischen Verwechslung und auch ein wenig Seemannsgarn: „Als dänische Forscher vor ein paar Jahrhunderten auf einer Expedition Dugongs sahen, hatte der Zeichner wohl ein paar Humpen zu viel getrunken“, lacht Fahrenbach. Heraus kamen mollige Meerjungfrauen, die an Sirenen aus der griechischen Mythologie erinnern. Aber auch Kolumbus schwörte darauf, während seiner Entdeckungsreise bei Haiti „eindeutig drei Meerjungfrauen“ gesehen zu haben. 1493 schrieb er in sein Reisetagebuch: „Sie sind aber aber nicht so schön wie man es ihnen nachsagt, denn ihre Gesichter hatten ein paar maskuline Züge.“ Charmanter ging es am Roten Meer zu. Dort wurden Dugongs von den Babyloniern einst als göttliche Mischwesen zwischen Fisch und Mensch verehrt. Dirk Fahrenbach jedenfalls ist sicher, dass die Dugongs zumindest unter den Seekühen die einzig „echten“ Meerjungfrauen sind, denn „sie leben ausschließlich im Salzwasser und haben eine gespreizte Fluke. Die Seekuhart Manati hingegen lebt auch im Süßwasser und hat eine löffelförmige Schwanzflosse.“ Am nähesten verwandt sind Seekühe übrigens nicht mit Jungfrauen, Göttern oder Kühen, sondern mit Elefanten. Die Namensgebung stammt vermutlich von ihrer Eigenschaft, Seegraswiesen ähnlich wie Kühe abzugrasen.


Biologin Janet Fahrenbach mit einem ihrer Schützlinge. Foto @Dirk Fahrenbach


"Wilder Westen" im nächtlichen Meer

Heute können Aban und seine Familie relativ friedlich leben, doch das war nicht immer so. Meerjungfrauenschutz ist nicht ungefährlich. Die Gewässer der Philippinen werden oft zum Schauplatz illegaler Fischerei. Zwar stehen die vulnerablen Dugungs seit 1992 gesetzlich unter Schutz – sie waren damals laut Fahrenbach die ersten geschützten Meerestiere, 1995 folgte der Walhai. Für den illegalen Fang drohen hohe Geld- bis Gefängnisstrafen. Aber laut Fahrenbach blieben die friedfertigen und langsamen Dugongs für mittellose Fischer in der Not auch nach dem Fangverbot buchstäblich fette Beute: „So ein Dugong lässt sich leicht fangen, wiegt rund 400 Kilo und schmeckt wie Schwein, dessen Fleisch auf den Märkten viel Geld einbringt. Das ist in der Armut natürlich ein super Deal.“ Fahrenbach und seine Frau machten sich den Aberglauben der lokalen Bevölkerung zunutze und streuten Gerüchte: Wer ein Dugong tötet, bringt Unglück über seine Familie. Das schützte die Seekühe und andere Meereslebewesen jedoch nicht vor illegaler Fischerei mit Bomben und Gift, deren exzessiver Einsatz hiesigen Gewässern gesetzlose Beinamen wie „Wilder Westen“ einbrachte. Um binnen Sekunden Jahrtausende alte Riffe des Coral Triangles zu zerstören, braucht es vereinfacht lediglich einen Fischschwarm, das Gummi abgelatschter Flipflops, ein bisschen Supermarkt-Dünger, Alkohol – bevorzugt Brandy, Whiskey oder Rum – und einen Böller. Nachdem die Flaschenbomben mit der Sprengkraft einer Handgranate explodieren, rieselt es unter Wasser tote Korallen und Fische. Den leblos umhertreibenden Schwarm kann man nun einfach ins Boot keschern. Effektiv, illegal und höchst lukrativ. Die Brutalität der Verzweiflung rettet in fernen Tropenparadiesen oft ganze Familien.


Selbst ein Dugong, das am anderen Ende Welt durch die Tropen schwimmt, ist mit unserer Lebensweise verknüpft. Foto @Dirk Fahrenbach

In Abans Zuhause kam laut Fahrenbach vor allem illegale Kompressorfischerei zum Einsatz: „Die Tauchenden gehen mit langen Atemschläuchen runter. Sie können dann lange unter Wasser bleiben und mit Harpunen, Netzen oder auch Zyanid fischen.“ Zyanid, also Blausäuresalze, vergiften die Korallen und lähmen die Fische, damit man sie leicht eingesammeln kann. Das Gift machte auch im internationalen Aquaristikhandel Karriere. Lange war es der schnellste und bequemste Weg, Tropenfische aus Südostasien in Tausende Kilometer entfernte Wohn- und Wartezimmer zu bringen, in denen niemand ahnt, dass am anderen Ende der Welt gerade Abans Lebensraum vergiftet wird. Obwohl Zyanidfischerei seit rund zwei Jahrzehnten in den meisten Ländern verboten ist, enthüllte eine Studie der portugiesischen Universität Aveiro im Jahr 2017, dass zu diesem Zeitpunkt noch immer jeder sechste Fisch in europäischen Aquarien Spuren von Zyanidvergiftungen aufwies. Die EU bildet laut der Tierschutzorganisation „Pro Wildlife“ weltweit den größten Absatzmarkt für Aquaristik – und Deutschland ist nach England der zweitgrößte Importeur tropischer Zierfische. Ein Gros davon wird in indonesischen und philippinischen Gewässern gefangen. Laut Fahrenbach plündern längst nicht nur lokale Fischer:innen das Meer im Schutz der Dunkelheit. Auch Schiffe anderer philippinischer Provinzen und asiatischer Länder betrieben laut dem Umweltaktivisten Piratenfischerei.

So geht’s in Teil 2 weiter...

- Nachtfahrten ins Ungewisse: Wie die Fahrenbachs sich anfangs allein den Piratenfischern stellten, Morddrohungen erhielten und schließlich mit einem Verband von Locals eine eigene Küstenwache gründeten.

- Früher gegessen, heute geschützt – wie einer der ältesten philippinischen Stämme, die Tagbanwa, durch ein Livelyhood-Projekt zu den Wächter:innen der Dugongs wurde und heute edukatives Dugong Watching betreibt. - Wie Dugongs leben, was sie mit Gärtnern gemeinsam haben, was sie so schützenswert macht und warum Aban dabei eine besondere Rolle spielt. - Was geschehen muss, damit die letzten echten Meerjungfrauen nicht auch bald dem Reich der Legenden angehören.


Diese freie Reportage entstand während einer Philippinenreise im Jahr 2023.

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